2018
Thursday
July
05

Cittaslow on the Zeit online

Muße tun

Ein gutes Dutzend Städte in der Toskana nennt sich "Cittàslow". Sie halten nichts von Geschwindigkeit, dafür viel von Gemütlichkeit.

Von Georg Cadeggianini

Der Anstoßpunkt liegt mitten auf der Straße. Auf dem Mittelstreifen, mit Kreis drumrum, auf der einzigen Brücke im Ortskern. Seitenaus ist das Geländer, die Strafraumlinie endet vor dem Zebrastreifen. Mit viel Wumms kann man einen Torschuss vielleicht noch an den Palazzo Torriani ballern, den Prunkpalast aus dem 16. Jahrhundert. Nicht, dass es wirklich praktisch wäre, hier Fußball zu spielen. Der Asphalt ist hart, das Brückengeländer niedrig, man muss aufpassen und schnell sein, vor allem nach einem schlampigen Querpass. Sonst trudelt der Ball flussabwärts Richtung Faenza, Richtung Adria. Aber die einzige Durchfahrtstraße hier in Marradi, in den Bergen des Mugello, mit einer Fußballpartie der Dorfjugend zu blockieren, das sei schon ein Zeichen, sagt Bürgermeister Tommaso Triberti, 36. "Manchmal spinnen wir hier eben." 

Tribertis Stadt ist eine Cittàslow, eine von 14 in der Toskana. Cittàslow, wörtlich "langsame Stadt", ist eine weltweite Bewegung von Orten, die aussteigen wollen aus dem schneller, weiter, mehr. Es ist Slowfood fürs Leben, zelebrierte Gemächlichkeit, irgendwo zwischen Ruhe und Phlegma, und das kann eben auch mal heißen: kicken auf der einzigen Brücke im Ort.

Nirgendwo gibt es so viele Cittàslow wie in Italien. Und in keiner Region haben sich mehr Orte der Entschleunigung verschrieben als in der Toskana. Es geht darum, Begrenztheit zu verinnerlichen, sie zu nutzen. Es geht darum, die Krücke wie ein Zepter in die Luft zu recken. Zu wenig Hotelzimmer? Super. Die regionale Spezialität lässt sich nicht konservieren? Olé. Schlechte Anfahrt zum Zentrum? Genau richtig. Originalität zählt. Nicht Masse, nicht Perfektion. Was Cittàslow darüber hinaus aber genau bedeutet, legt jeder Ort anders aus. Und genau das ist das Konzept.

Zum Beispiel Suvereto. Von ganz oben, von der Rocca mit den rund tausend Jahre alten Burgresten, schaut man ins Landesinnere, auf die Wälder aus Macchia und sugheri, den Korkeichen, die dem Ort den Namen gegeben haben und hier Hügel für Hügel weiche Wellen ins Land zeichnen. Als ob man ein Meer mitten im Wogen angehalten hätte. Warte mal kurz. Bleib so. Kork, das weiche Gold der Gegend, erntet man nur alle neun Jahre. Hier passt das in die Zeit.

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Photo: In San Miniato ganz normal: sieben Ruhetage die Woche. © Philip Koschel für MERIAN